STARKE ABWEHR

Nachdem Virologen inzwischen zu richtigen Superstars avancieren, beschäftigen wir uns heute mit dem Thema IMMUNOLOGIE.
Genau in dieser Wissenschaft beschäftigt man sich mit den Fragen, die uns gerade alle bewegen:

  • Wie infizieren wir uns eigentlich mit Erregern?
  • Was macht unser Körper selbst dagegen?
  • Wie wird eine „Grundimmunität“ aufgebaut?

Was drin ist für Dich:

  • Was das Immunsystem mit Schlüsseln und Schlössern zu tun hat…
  • Wie Dein Immunsystem zwischen Freund und Feind unterscheidet…
  • Wie Dein Körper die Balance zwischen Krieg und Frieden halten kann…

Unser Immunsystem und das Festival des Lebens

Zu einem besseren Verständnis kannst Du Dir unser Immunsystem wie das Security-Personal auf einem großen Festival vorstellen.
Das Partyvolk besteht aus wild umher wimmelnden Teilnehmern unterschiedlichster Herkunft.
Übertragen auf unseren Körper bedeutet dies, viele Milliarden von Körperzellen durchmischt mit unzähligen Bakterien und Viren.

…und diese feiern jeden Tag zusammen das Festival des Lebens!

Unser Immunsystem stellt auf diesem rauschenden Fest vor allem die vielen fleißigen Helfer, Securities, Handwerker, Ärzte und Sanitäter. Diese kümmern sich laufend um einen reibungslosen Ablauf der Party. Dabei reparieren sie Gewebeschäden, entfernen giftige Partikel und wehren Krankheitserreger ab.

Diese Krankheitserreger sind meistens Bakterien, Viren oder Parasiten.
Spannend dabei sind die Größenverhältnisse dieser Erreger im Vergleich zu unseren Körperzellen und zueinander:

1 Körperzelle ist etwa so groß wie 1.000 Bakterien oder aber 1.000.000 Viren.

Gerade Zeiten wie diese, während einer Viruspandemie, verhelfen den kleinen Erregern nicht unbedingt zu einem guten Image…
Doch Vorsicht:

Nur etwa 1 Prozent der Viren und Bakterien sind für uns Menschen wirklich pathogen und damit krankmachend!!!
Die große Mehrheit ist für uns entweder ungefährlich oder sogar lebensnotwendig!

Aber zählen wir erstmal ein paar der gefährlichen Vertreter auf, die uns durchaus das Leben schwergemacht haben oder es immer noch tun:

  • Yersinia pestis: verantwortlich für den „Schwarzen Tod“, sprich die Pest im 14. Jahrhundert.
  • Salmonellen
  • Escheria coli
  • Clostridium tetani
  • Ebola
  • HIV
  • Pocken
  • verschiedene Coronaviren
  • Tollwut
  • …und einige andere

Eine Geschichte voller Zufälle – die Immunologie

Wie so oft, liegt auch hier das Geheimnis des Verständnis zur Funktion des Immunsystems in seiner Geschichte.

Drei rätselhafte Entdeckungen weckten das Interesse von Forschern und ebneten den Weg zur Entdeckung unseres Immunsystems.

So fand ein italienischer Anatom im 16. Jahrhundert bei einer Hühnersektion eine kleine Drüse – den Thymus.

Etwa ein Jahrhundert später wurde bei einem Hund zum ersten Mal das Lymphsystem als Gefäßsystem beschrieben.

Wiederum zwei Jahrhunderte später kam es zur ersten Beobachtung von sog. „Fresszellen“.

Leukämie als Schlüsselerkrankung zur Entdeckung des Immunsystems

Nach dieser Entdeckung verging allerdings nochmal ein ganzes Jahrhundert bis schließlich 1950 ein australischer Arzt, Dr. Jacques Miller, die Funktion der Thymusdrüse entschlüsselte. Den Anstoß zu dieser Forschung gaben die unzähligen Fälle an Leukämie erkrankten Menschen nach den Atombombenangriffen auf Hiroshima und Nagasaki.
Also bestrahlte Dr. Miller in der Folge viele Labormäuse mit radioaktiver Strahlung.
Nun erkrankten viele Mäuse an Krebs, an Leukämie. Von diesen wiederum entnahm er befallenes Gewebe und spritzte es gesunden Mäusen.
Die interessante Entdeckung dabei war, dass nur Babymäuse krank wurden, alte Mäuse hingegen gesund blieben.
Woran konnte das liegen? Im nächsten Schritt entfernte der Australier den Mäusen ihren Thymus. Das Resulat: Nun wurden alle krank, unabhängig des Alters.

Durch diese Entdeckung lag schnell auf der Hand: Das vermeintlich kleine und nutzlose Organ spielt eine zentrale Rolle im Organismus!

Vom Thymus zu T-Zellen

Nun steht immer noch die Frage im Raum, wie der menschliche Organismus zwischen eigen und fremd unterscheiden kann. Wie weiß der Körper, was gutartig ist und was ihn vielleicht krank macht?

Millers Wissensdrang war noch nicht gestillt und so experimentierte er weiter an seinen Mäusen. Er bemerkte, dass das Immunsystem zwischen fremd und eigen unterscheiden konnte und, dass manchmal gutgemeinte Hilfe von außen für gefährliche Angriffe gehalten wurden. Dies fiel ihm auf, als er versuchte Mäusen untereinander Haut zu transplantieren. Bei vorhandenem Thymus wurde die Haut in der Regel immer abgestoßen, nach Entfernung des Thymus jedoch nicht.

Bei einer Blutuntersuchung identifizierte Dr. Miller eine wesentlich geringere Konzentration an speziellen Blutzellen, den Lymphozyten, bei den thymuslosen Mäusen. Daraus folgerte er, dass das kleine Organ für die Bildung derselben verantwortlich sein müsse und nannte die Zellen fortan T-Lymphozyten, nach ihrer Produktionsstätte.

Schlüssel und Schloss

Bereits 1891 entwickelte Paul Ehrlich, ein deutscher Mediziner, eine vielversprechende Theorie. Er nahm an, dass Körperzellen bestimmte Anhängsel bilden können, die wiederum exakt zu körperfremden Stoffen passen. Er nannte diese Anhängsel Antikörper, die fremden Stoffe Antigene.

Man nahm nun an, dass jemand der keine T-Zellen hatte, auch keine entsprechenden Antikörper bilden konnte und damit krank wurde.

Mit der zusätzlichen Entdeckung der T-Zellen schien das Geheimnis des Immunsystems gelüftet, doch weit gefehlt.

Wieder einmal kam der Zufall zu Hilfe. Dieses Mal in Form eines kleinen Jungen. Dieser wurde wiederholt schwer krank, obwohl sein Thymus nachweislich völlig in Takt war. Wie konnte so etwas sein?
…und dieser Junge war nicht der einzige, der solche Befunde aufwies. So waren die Konzentrationen an Lymphozyten bei vielen Menschen hoch und trotzdem wurden sie krank.

Erst in den 1960er Jahren fiel der Groschen: Konnte es etwa sein, dass es nicht nur eine Form von Lymphozyten gäbe und die andere Form in einem anderen Organ produziert würde?

Auch hier konnte Dr. Miller diese These bestätigen und entdeckte den zweiten Produktionsort von Lymphozyten – das Knochenmark oder auch englisch „bone marrow“. So wurde die zweite Zellgruppe B-Lymphozyten genannt.

B- und T-Zellen – die Scharfschützen des Immunsystems

Zusammen mit den T-Lymphozyten stellen die B-Lymphozyten ca. 40% aller weißen Blutkörperchen dar.

Nun aber zu ihrer Funktion:

Stell Dir vor, Du steckst Dich mit Grippeviren an. Zunächst reagiert Dein Körper völlig unpräzise. Er bemerkt den Einbruch und schickt eine Schar von Sanitätern zum Ort des Geschehens. Diese kleinen Helferchen gehören zu den 60% der anderen Leukozyten wie z.B. Fresszellen.

Zu diesem Zeitpunkt weiß Dein Immunsystem noch gar nicht, mit wem es konkret zu tun hat. Erst nach Sondierung der Lage wird nun das Sondereinsatzkommando zum Ort des Geschehens beordert, Deine Lymphozyten.

T- Zellen koordinieren nun das weitere Vorgehen. Sie können entweder selbst ihre kleinen Stacheln gegen die Eindringlinge einsetzen oder einen Trupp B-Lymphozyten vorschicken, die Antikörper bis zur Front transportieren. Wenn nun der Antikörper (Schlüssel) von unserem B-Lymphozyten auf das passende Antigen (Schloss) eines Erregers trifft, wird kurzen Prozess gemacht und der Erreger zerstört.

Dieses Zusammentreffen ist allerdings ein Wunder. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, wie Schlüssel und Schloss aussehen können. Woher weiß nun Dein Körper, welche Antigene er produzieren muss?

Unendliche Anpassung von genetischem Material

B-Zellen entwickeln sich in ihrem Zellleben von unreifen zu reifen Zellen. Doch was bedeutet das? In ihrem Lebenszyklus entwickelt sich das Genom der Zellen unterschiedlich. Und genau hier liegt der Schlüssel zum Erfolg. Dadurch, dass sich jede Zelle differenziert, entstehen unendlich viele Spezialisierungen. Damit besitzt unser Organismus unzählige Schlüssel, um auf jedes Schloss adäquat reagieren zu können.

Die zwei Teile des Immunsystems

Was passiert nun konkret bei einer Infektion?
Zuerst kommt die unspezifische Abwehr über Immunzellen (z.B. Phagozyten bzw. Fresszellen). Den größten Anteil an den Immunzellen bilden hierbei die neutrophilen Granulozyten mit einem Anteil von bis zu 60%.

Diese strömen schnellstmöglich an den Ort des Geschehens, zum Entzündungsherd. Dort angekommen injizieren sie den Erregern Enzyme, die diese zerstören. Anschließend zerfallen die neutrophilen Granulozyten selbst, ähnlich wie Kamikaze-Piloten. Daraufhin stoßen weitere Zellen hinzu, um den „Zellmüll“ aufzuräumen. Dieses Schlachtfeld an zerstörten Zellen kennen wir auch gemeinhin als Eiter.

Nun ist es an der Zeit für die spezifische Abwehr. Hier gibt es zwei Möglichkeiten. Im ersten Fall werden dendritische Zellen („dendron“ griechisch für „Baum“) herangezogen, die lauter kleine Auswüchse an ihrem Zellleib tragen und als Botschafter für unsere T-Zellen dienen. Diesen bringen sie Proben der Erreger, woraufhin die T-Zellen zwischen gut- und bösartig unterscheiden.

Option No.2 ist, dass die umherschwirrenden B- oder T-Zellen direkt auf die pathogenen Mikroorganismen treffen. Passiert dies, so binden die Lymphozyten via Schlüssel-Schloss-Prinzip direkt an die Keime. Bei Identifikation als Bösewicht aktivieren sie schließlich hochspezialisierte Killerzellen, die direkt für den Kampf gegen diesen Erreger ausgebildet sind.

Nun bleibt aber noch zu klären, wie die Unterscheidung zwischen Gut und Böse funktioniert. Denn gutartige Bakterien bilden selbst auch Antigene aus und müssten nach den vorangegangen Ausführungen auch als körperfremd erkannt und damit zerstört werden.

Bisher haben wir uns jedoch erst mit dem adaptiven Immunsystem beschäftigt. Doch auch hier haben wir ein zweites System, das angeborene Immunsystem.

Dessen wichtigste Akteure sind sog. Toll-like-Rezeptoren. Sie können nämlich Strukturen erkennen, die nur in Krankheitserregern vorkommen. Sobald ein Toll-like-Rezeptor eine pathogene Struktur erkennt, meldet er dies den T-Zellen.

Beide Systeme, adaptiv und angeboren, funktionieren natürlich nur in ihrer Gesamtheit und entfalten erst gemeinsam ihr volles Potenzial.

Zytokine zur Kommunikation

Bisher hieß es im Text immer, dass zwischen den Zellen Botschaften gesendet werden, um unterschiedliche Angriffswellen in Gang zu setzen. Doch wie werden diese Botschaften geschickt?
Dazu benutzt unser Immunsystem Zytokine, kleine Proteine. Diese musst Du Dir wie kleine Botschafter vorstellen.

…und das funktioniert so!
Wenn eine Zelle in Kontakt mit einem krankmachenden Keim kommt, sondert sie sofort Zytokine wie beispielsweise Interferon aus. Diese Ausschüttung kommt einem Hilferuf bzw. „Ruf zu den Waffen“ gleich. Diese Nachricht verbreitet sich dann wie ein Lauffeuer von Zelle zu Zelle. Die Zytokine werden von der Nachbarzelle aufgenommen, die ihrerseits wieder welche ausschüttet usw.

Es gilt: Je schneller diese Ausbreitung vonstatten geht, desto schlechter kann sich ein Krankheitserreger ausbreiten!

Da wir im Allgemeinen von diesen kleinen Kommunikationsprozessen auf Zellebene bewusst nichts mitbekommen, macht das unser Körper ganz geschickt und zwingt uns zur Ruhe.
Kennst Du die Tatsache, dass man sich bei einem Infekt allgemein abgeschlagen und müde fühlt?
Genau für dieses Gefühl ist nicht die Infektion verantwortlich, sondern die systematische Ausschüttung von Zytokinen.
Ähnlich, wie jetzt während der Corona-Pandemie, zwingt uns unser Körper auch zu einem Lock- bzw. Shutdown, um sich komplett auf die Verteidigung konzentrieren zu können.

Allerdings musst Du wissen, dass nicht alle Zytokine zum Krieg blasen. Vielmehr sind viele davon dafür zuständig eine feine Balance im Körper zu halten. So versuchen die Zytokine weder absolute Anarchie noch eine totalitäre Diktatur zuzulassen. Gäbe es dieses Wechselspiel nicht, so würde der Körper wortwörtlich mit Kanonen auf Spatzen schießen und u.U. mehr Schaden als Nutzen bringen.

Schwachstellen des Systems

Leider gibt es nun auch ein paar Schwachstellen dieses wunderbaren Systems. So gibt es auch Zellen, die das Immunsystem geschickt korrumpieren und zu ihrem Vorteil ausnutzen können wie beispielsweise das Hodgkin-Lymphom.

Dieser Tumor befällt das Lymphsystem. Das fiese daran ist, dass sich die Tumorzellen als B-Lymphozyten ausgeben, dadurch gesunde B-Zellen infiltrieren und übernehmen können.

Jede T-Zelle hat auf ihrer Oberfläche sog. PD-Rezeptoren (programmed death – programmierter Zelltod). Dies ist dafür wichtig, dass Zytokine regulatorisch notfalls auch T-Zellen ausser Kraft setzen können. Die „Hodgkin-Assassinen“ (hervorgegangen aus gekaperten B-Zellen) machen sich das zunutze, infiltrieren die wichtigen T-Zellen und übernehmen so langsam Zelle für Zelle das Immunsystem.

Genau für diese Fälle entwickelte die Medizin Chemotherapien. Bei einer Chemotherapie wird kontrolliert das ganze Immunsystem im wahrsten Sinne des Wortes plattgemacht. Dabei werden in erster Linie pathogen Erreger, jedoch auch körpereigene Zellen zerstört.


Trotzdem lässt sich aber eindeutig festhalten, dass unser Körper das mächtigste und eleganteste Verteidigungssystem der Welt besitzt. Es ist komplex und ausgeklügelt und macht es möglich, dass wir ohne große Zwischenfälle das Festival des Lebens in vollen Zügen genießen können!

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3 Comments

  • Jo52
    12. Mai 2020

    Kompliment! Der Artikel ist auch für medizinische Laien sehr gut verständlich und informativ, besonders die vielen anschaulichen Beispiele.

    Reply
  • Inge kneissl
    13. Mai 2020

    Unser Körper – ein Wunderwerk: schützend und wehrhaft. Ich habe den Infotext staunend gelesen. Warum haben wir das in Bio in der Schule nicht so anschaulich erklärt bekommen? Danke. 👍

    Reply
  • Kossiforema
    15. Juni 2020

    Ganz schön kompliziert, das Ganze. Und alles funktioniert ohne unser Zutun. Unser Körper ist echt ein Wunderwerk und es wert, gehegt und gepflegt zu werden. Leider denken wir daran nicht so oft, dabei könnten wir viel zu seiner Gesundheit beitragen.
    Ich muss mich da an meine eigene Nase fassen. Also gut, ab jetzt gibt’s wieder etwas Sport, moderat, man soll sich ja nicht überfordern.😀
    Vielleicht schreibst du einmal etwas über die positiven Auswirkungen von Bewegung auf unseren Körper?

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